Vogelglück

Direkt zum Seiteninhalt

Hauptmenü:

Das Stück entstand im Rahmen von
stück/für/stück 2010 am Schauspielhaus Wien
copyright der Zeichnungen Harald Häuser 2020

Personen:

Kind
Mutter
Präparator
Chor der Präparatoren
Vogerl
Kringel: eine Baby-Puppe
Kuschel: eine Baby-Puppe

Die Puppen sollen zunächst echte Puppen sein, die von Kind gesprochen werden. Diese müssen jedoch in jeder Szene ein bisschen größer werden. Ab der Szene 7 schließlich sollen die Puppen von Schauspielern in Puppenkleidern gespielt werden.

Die Sprechhaltungen der Figuren sind in Klammerausdrücken notiert. Steht nichts dabei, so wird der Ton von vorher beibehalten. Kringel und Kuschel haben von Anfang bis Ende einen Tonfall, der dem Geplänkel brabbelnder Verliebter gleicht.

1. Guten Morgen, Sonnenschein

Weckerläuten. Die Enge einer Neubauwohnung.  In der Ecke steht Vogerl, eine Mischung aus Supermodel und überlebensgroßem Wellensittich. Sie trägt Strapse und hat riesengroße Augen. Kind liegt im Bett. Wir können nicht sehen, ob es sich bei Kind um einen Bub oder ein Mädchen handelt. Es atmet gleichmäßig ein und aus, trägt die Glückseligkeit des Schlafes als kleines Lächeln an den Lippen. Langsam fällt Licht durch die Rollos. In dünnen hellen Streifen. Malt Muster auf den Boden des Wohnzimmers. Vogerl beginnt zu singen.

Vogerl (in zwitscherndem Tonfall): Morgen.
Malmlamla.
Tschiwitsch.
Fipes.
Ips.
Ida ich.
Malmalmal.

Kind (steht auf und geht zu Vogerl hin. Streichelt ihm immer wieder das Köpfchen. Vogerl guckt dabei ein bisschen skeptisch.): Hab mein Vogerl lieb.

Vogerl: Ips.

Kind (versucht, Vogerl das Sprechen beizubringen): Nein. Liebs.

Vogerl (will nicht so recht reagieren): Ida ich.

Kind (ein wenig belehrend): Liebe dich. Weil es kein Maschinenvogerl ist. Darum lieb ich, alles was ein Vogerl ist, weil es kein Computer ist. Komm sing mit: Grün grün grün sind alle meine Kleider.

Schritte. Kind hört, dass die Mutter kommt und hopst rasch ins Bett zurück. Es zieht die Decke über den Kopf und setzt einen verschlafenen Blick auf. Mutter, eine Frau Mitte Vierzig mit eingefallenem Gesicht und stark hervortretenden Backenknochen, betritt die Bühne. Sie geht, als würde sie bei jedem Schritt nach vorne kippen können. Mutter beginnt, laut zu sprechen und hackt dabei die Sätze ab, wie um nicht das körperliche Gleichgewicht verlieren zu müssen.

Mutter (im Befehlston): Aufwachen. Guten Morgen, Sonnenschein.



Kind setzt sich langsam hoch, reibt sich die Augen und lächelt verschmitzt. Es nestelt unter der Bettdecke rum und holt zwei Puppen mit Ringelstrümpfen hervor. Kringel und Kuschel. Die Puppen haben flache Nasen mit  Sommersprossenfeldern drauf. Kind nimmt die beiden Puppen in die kleinen Hände. Spielt mit Kuschel und Kringel, wobei es bei Kringel immer hoch spricht und bei Kuschel tief.



Kuschel: Was.

Kringel: Muss mich beruhigen.

Kuschel: Flatterzunge.

Kringel: Schlabbrige Mundwinkel.

Kind: Ihr seid ineinander verliebt Kringel und Kuschel, oder.

Kringel: Ja, genau

Kuschel: Geht es dir auch so, Kringel.

Kringel: Ja, Kuschel.
Mutter: Aufstehn.
Na los.

Kind (steht auf, summt unbedarft, fröhlich): Guten Morgen, Sonnenschein.

Mutter (forsch): Was spielst denn schon wieder.

Kind: Kuschel und Kringel sind ineinander verliebt. Weißt.

Mutter (Befehlston): Aufstehn. Klo gehn. Waschen. Zähneputzen. Anziehn. Frühstücken. Schultaschepacken. Schuhe binden.

Kind (verträumt): Hab das Licht wie Sommersprossen auf der Nase.

Mutter stößt Kind leicht in die Taille. Kind beginnt, aus dem Pyjama zu schlüpfen. Auf einem Sessel neben dem Bett liegt eine Hose. Kind schlüpft langsam hinein und schließt die Clips an den Schultern.

Vogerl (zwitschert ein bisschen lauter, um Aufmerksamkeit zu kriegen und hüpft auf dem Platz herum, auf dem es steht.):  Morgen.
Malich.
Malmalmal.
Tschwitschi.
Ida ich.
Mal.

Kind bindet sich die Schuhe zu, hört aber in der Bewegung auf und sieht mit leuchtenden Augen aus dem Fenster.

Mutter (Vogerl ignorierend, zu Kind, das beim Schuhebinden plötzlich eingehalten hat): Schneller, wir sind im Krisengebiet.
Wird sich noch verschärfen.

Kind (immer noch verträumt ausm Fenster in den Himmel guckend): Im Himmel schwimmen blaue Wolkenfetzen.

Mutter (warnend): Und: Sie hat erst begonnen die Krise.

Kind (verträumt, begeistert, ausm Fenster zeigend): Schau mal. Schatten. Nein. Ich mein: Schattierungen.

Mutter: Es kriselt.

Kind (singend): Grün grün grün sind alle meine Berge.
(begeistert) Ich kenn eine Farbe, die hat noch keiner gesehn.

Mutter zerrt Kind an den Latzhosenträgern in die Höhe.

Mutter (Befehlston): In die Schule gehn.
Harte Bänke harte Sessel sitz gerade.
Riesen Krise.
Kriegskriese.
Krisengebiet.

Kind (hat, während Mutter spricht, wieder begonnen, aus dem Fenster schauen und ruft, begeistert): Seh ich seh was du nicht siehst.

Mutter (Befehlston, die Schultasche unterm Bett hervorholend): Psychische Krise.
Wirtschaftskrise.
Kritische Krise.
Kind (begeistert): Schau, wie der Wind die Wolken zerreißt.

Mutter (warnend, mechanisch): Das Finanzsystem befindet sich in seiner größten Krise seit. Also seit langem. Sag ich. Ohne die Intervention von Regierung und Notenbank wäre das System vermutlich längst kollabiert. Sag ich. (stopft ein buntes Federpennal, das auf dem Sessel neben dem Bett liegt, in die Schultasche.)

Vogerl (noch ein wenig lauter): Tschwitsch.

Kind: Wenn ich groß bin, werd ich ein Verrückter.

Mutter (warnend, mechanisch, während sie zum Kasten geht, einige Schreibhefte des Kindes herausholt und in die Schultasche packt): So Soziologen fragen nach den Ursachen der Finanzkatastrophe. Die Krise ist eine originäre Mittelschichtkrise. Sagen die. Mittlere Einkommen werden massiv getroffen. Sagen die, sag ich. Und. Haben sie mitverursacht. Sag ich. Ausbau von Kinderkrippen. Verstaatlichung von Banken. Berufstätige Frauen fallen als Kinderbetreuerinnen aus. Schwierig. Sag ich. Oder. (geht ab.)

Vogerl (laut, will beachtet werden): Fiepsiwitsch.

Kind (verträumt, begeistert, in der Wohnung herumhüpfend): Wenn ich groß bin werd ich ein Altersheim.
Wenn ich groß bin werd ich ein Schmetterling.
Wenn ich groß bin werd ich ein Straßenhund.
Wenn ich groß bin werd ich ein Blau.
Kein Säugetier.
Wenn ich groß bin werd ich kein Verheirateter.
Wenn ich groß bin werd ich ein Kind.
Wenn ich groß bin werd ich ein Schachtelhalm.
Wenn ich groß bin werd ich kein Kakao.
Wenn ich groß bin werd ich kein Antidepressivum.
Wenn ich groß bin werd ich ein Taschentuch.
Kein Kasten und.
Kein Bügeleisen.
Kein Auto.
Keine Waschmaschine.
Kein Haarshampoo und kein Kaufhaus.
Wenn ich groß bin werd ich eine Kaffeebohne.
Werd ein Apfelkern.
Werd Löwenzahn Veilchen Sonnenblume und kein Haferschleim.
Werd keine Macht werd keine Disziplin werd.
Wenn ich groß werd werd ich ein Angstmacher.
Werd ich ein Abstellraum.
Werd ich eine Warthalle.
Werd ich eine Kiefernallee. Eine Halde im Nirgendwo.
Wenn ich groß bin werd ich eine Rinde werd.
Eine Kartoffelkruste im Backrohr werd ich.
Ein Morgenmantel aus Frottier werd ich.
Wenn ich groß bin werd ich eine Stille.
Werd ein Knacksen.

Mutter (kommt mit einer Jausensemmel, die sie dem Kind reicht. Kind nimmt die Semmel und will abbeißen. Mutter hindert Kind daran. Kind gibt auf und steckt die Semmel in die Hosentasche. Mutter im Befehlston): Weg jetzt. Schultasche gepackt. Schenk deine Semmel nicht her. Vanillemilch. Apfel. Bleistifte im Pennal. Sei brav. Sitz gerade. Bis bald und guten Morgen, Sonnenschein.

Mutter gibt Kind die Schultasche, Kind verlässt die Neubauwohnung und summt "Grün grün grün sind alle meine Kleider“.

Vogerl (traurig, dass es noch immer nicht beachtet worden ist): Tschiwitsch.
Malma.
Maln.
Male.
Ichida.
Morgen.
Fiepsiwitsch.


2. Das Glück ist ein Vogerl und kommt nicht mehr zu sich

Die Enge einer Neubauwohnung. Vogerl, ein Mischung aus Frau und ausgestopftem Wellensittich, sitzt auf den Kissen. Mutter sitzt neben Vogerl und hält eine Fernbedienung in der Hand, mit der sie immer wieder herumzappt. Das Kind kommt heim und schlüpft aus den Tennisschuhen, die es bemüht vorsichtig neben die Türe stellt. Setzt sich aufs Bett neben Kringel und Kuschel, nimmt die blaue Schultasche ab und beginnt, mit den beiden flachnasigen Puppen zu sprechen. Kringel dabei wieder in hohem, Kuschel in tiefem Tonfall.


Kringel: Und ich ess nur mehr das Weiße, die Schmolle, das Weiße in der Semmel.

Kind (neugierig, euphorisch): Warum. Warum denn!?

Kuschel: Die kann man runterschlucken, auch wenn man verliebt ist.

Kringel: Die stechen den Kehlkopf nicht.

Kuschel: Stoßen nicht ans Gaumenzäpfchen.

Kringel: Ja, das mein ich.

Kuschel: Geht es dir auch so, Kringel.

Kringel:  Ja, genau so.

Mutter (leicht abwertend, den Blick nicht vom imaginären Fernseher, der sich da befindet, wo das Publikum sitzt, wendend): Was spielst denn.

Kinder (freundlich):  Kringel hat das Kuschel lieb und kann vor lauter Liebe keine Semmeln mehr schlucken. Weißt.

Vogerl (laut zwitschernd, will sich wiederum Gehör verschaffen.): Malich.
Ich.
Ida.
Ich.
Fiepsiwitschich.
Ida.

Mutter (teils genervt, teils verzweifelt): Ich kann den Namen Ida nicht mehr hören.

Mutter wirft die Fernbedienung in eine Ecke. Steht auf. Geht zu Vogerl und drückt ihm den Schnabel zu. Vogerl schlägt mit flatternden Flügeln aus, bohrt der Mutter einzelne Federn in Nase und Mund . Die Mutter greift zu. Drückt mit den schwieligen Händen gegen Vogerls Kropf. Vogerl röchelt einige Male. Mutter wie außer sich. Drückt und drückt. Vogerl fällt nach hinten.
Stille. Kind dreht sich um, lässt die Puppen fallen. Läuft auf Vogerl zu, das reglos am Boden liegt. Es tastet den gefiederten Körper ab. Verzweifelter Ausdruck auf dem kleinen Porzellanpuppengesicht. Lange Stille. Dann:

Kind (geschockt): Was ist mit dem Vogerl.

Mutter (will es ablenken, leicht sanft, beugt sich zu Kind herunter): Das Glück ist ein Vogerl.
Kind (geschockt): Es kommt nicht mehr zu sich.

Mutter (Kind ablenkend, bagatellisierend): Will uns nicht anschaun, weil’s nicht ausgeschlafen ist.

Kind (langsam erkennend, mit starker Klarheit): Nein. Es kann nicht ausschlafen, weil’s keine
Träume hat. Jetzt schleckt das Vogerl dich nicht mehr ab und zwitschert nimmermehr.

Mutter (Befehlston): Ein Fall für den Präparator. Sag ich.

Präparator(ein Mann Mitte Vierzig in grauem Hosenanzug betritt die Neubauwohnung. Er trägt Converse und einen Koffer mit einem Glitzersticker in der Hand. Sprache, Mimik und Gestik des Präparators erinnern an einen Showmaster. Das strähnige schwarze Haar ist nach hinten gegelt, sein Gesicht leicht schwielig, die Lippen voll und dick wie zwei Würste. In euphorischem Ton, sich verkaufen wollend):       

Präparationsangebote: Ausstopfen, Bleichen, Gerben, Montieren.

Mutter (bemüht freundlich): Guten Mittag, Sonnenschein.

Präparator (leicht euphorisch): Präparationsangebote sind Dienstleistungen. Ich präpariere alle Arten von Säugetieren. Vögel, Fische sowie Reptilien.

Mutter (mechanisch): Kinderbetreuung ist eine Dienstleistung. Aber der Fernsehr ist billiger.

Kind steht langsam auf und geht zu Kringel und Kuschel zurück. Es nimmt sie in die Arme. Ein bisschen traurig sieht es aus, hat aber die Klarheit des Erkennens im Blick.

Präparator (begeistert von sich selbst, euphorisch): All diese Arbeiten werden von mir in meinem Betrieb bearbeitet und hergestellt. Ich gerbe selber, ich gehe nicht außer Haus, wenn ich nicht dafür bezahlt werde.

Kind (versucht nun, sich mit den Puppen den Tod Vogerls zu erklären. Spricht mit Kringel in der Hand, ihre Stimme nachmachend): Das Vogerl. Es kann nicht wie früher. Die Augen zu und aufmachen.

Mutter (beugt sich zu Kind, legt die Hand auf seine Schultern, bagatellisierend, liebevoll): Aber schaut uns an. Ist bei uns da. Ausgestopft wird das Vogerl das gleiche sein.
Wie immer.
Weißt.

Kind (legt Kringel neben Kuschel): Was heißt das.

Präparator (beugt sich zu Kind herunter, euphorisch, sich verkaufend): Wir stopfen’s dir aus, dein Vogerl. Schnell mal innere Organe weg und Füllung rein wie Futter. Alles kein Problem.

Kind (schaut Präparator an und durchschaut ihn. Nimmt Abstand von dessen aufgedunsenem, solariumbraunen Speckgesicht): Was heißt das.

Mutter (liebevoll): Du hast doch sicher dein Vogerl lieb. Das Glück liegt im Vogerl. So kann’s dich ganz ruhig anschaun und pemmerlt nicht mehr seine Scheiße in die Ecken der Wohnung rein. Weißt.

Kind (erkennend): Das Glück ist ein Vogerl und kommt nicht mehr zu sich.

Mutter (liebevoll, ein wenig ratlos): Also hast dein Vogerl lieb?

Kind (die Mutter beruhigend): Ja. Hab mein Vogerl lieb. Wie das Kuschel das Kringel lieb habn tut.

Präparator (sich die Hände reibend, freudig): Flix und zugenäht.

Der Präparator beugt sich zu  dem gefiederten Totengestell runter und fummelt am Vogerl rum. Zieht ein paar pinke Organe aus seinem Bauch und ersetzt diese durch Wattebäusche, die er aus seinem Koffer mit dem Glitzersticker zieht. Kind steht auf und sieht mit einer Mischung aus Staunen und Begeisterung zu. Mutter steht in der Ecke, nach vorne gebeugt, und knabbert leise an den Fingernägeln.

Präparator (euphorisch): Schau, Kind. Red ich noch immer hin und hör das Vogerl zwitschern. Manchmal.  

Kind (sehr klar): Glaub, das Vogerl kommt nicht mehr zu sich. Weil’s nicht mehr zwitschern kann. (streichelt Kringel das Haar, den es mit sich genommen hat)

Mutter (kommt aus der Ecke, legt Kind die Hände in den Nacken, kippt fast nach vorne, versucht, zu bagatellisieren): Aber alles ist wie immer. Weißt.

Kind (hört sie nicht, klar): Glaub, es kann nicht gut schlafen, weil es nicht mehr von mir träumt.
Wenn man gestorben ist, träumt man nicht mehr von einem Freund.
Drum bin ich jetzt immer traurig. (lacht)

Mutter (ratlos. Beugt sich hinunter, küsst Kind auf den Hinterkopf): Ich hab dich lieb.

Kind (klar): Ich hab dich lieb, Mama. Aber anders als das Kringel das Kuschel liebhat.

Präparator (lacht, euphorisch): Direkt quietschn tut es. Das Vogerl.
Hör mal hin. (hält den schlaffen Federkörper in seinen solariumbraunen Händen und spielt mit Vogerls Flügeln. Vogerls Kopf kippt lasch nach hinten.)

Kind (hört ihm nicht zu, sehr klar, erkennend, Blick zum Publikum): Ich glaub, es kommt nicht mehr zu sich. Das Vogerl. Wird immer so bleiben. Und immer gestorben sein.

Mutter (traurig werdend, kaut an den Nagelbetten): Das Vogerl ist wie das Glück. Ich schau manchmal hin und red mit ihm.
Wie früher.
Weißt.

Kind (sehr klar, wie aus der Ferne): Hat das Vogerl uns immer wieder gern abgeschleckt. Das warn seine Küsse. Weißt noch.

Mutter (liebevoll, traurig): Ja.

Kind (erklärend): Das Kringel und das Kuschel tun sich auch gern abschlecken, manchmal.

Mutter (wieder im Befehlston, sich aus der Traurigkeit retten wollend): Hast du das aus dem Fernsehr. Schwachsinn. Sag ich.

Kind (klar): Aber jetzt schleckt’s uns nimmer ab.

Präparator (lacht): Nein.

Kurze Pause. Kind wieder guckt ein bisschen traurig, aber erkennend.

Mutter (erklärend, sich aus der Traurigkeit retten wollend): Das Glück ist ein Vogerl. Wir habn das Glück ausgestopft. Es sitzt auf unserer Bettdecke und ist stumm. Manchmal red ich mit dem Glück. Wie früher.

Kind (erkennend): Und immer gestorben sein.

Präparator (euphorisch): Wir habn dem Glück die Organe rausnehmen lassn und es ausgestopft, damit’s nicht wegfliegen kann.

Mutter (traurig): Das Glück sitzt in unserem Schlafzimmer und hat stumpfe Augen. Bewegt sich nicht.

Kind (klar): Wenn man gestorben ist, träumt man nicht mehr von einem, der ein Freund gewesen ist.  Wie früher. Nein. Wenn man gestorben ist, kann man nicht mehr traurig sein, dass man nicht mehr von einem träumt, der sein Freund gewesen ist. Das Vogerl kommt nicht mehr zu sich und wird immer gestorben sein. (lacht zögernd, genauso wie der Präparator gelacht hat.)

Mutter (traurig, den Tod ihrer Tochter Ida immer stärker in Gedanken tragend, versucht, sich aus der Verzweiflung zu retten, indem sie bagatellisiert): Aber ich red mit dem Vogerl. Wie früher. Als wär nix gewesn. Es kann nur nicht mehr die Augen auf und zu machn. Na und. Dafür haben wir das Glück im Schlafzimmer. Muss uns ja nicht abschlecken. Das Glück.

Kind: Immer gestorben sein. Das ändert sich nicht mehr.

Mutter (geht zu Kind hin, das immer noch reglos dasteht, Kuschel in einer Hand am Boden mitgeschliffen. Es umarmt Kind von hinten. Bagatellisierend, auch vor sich selbst und ihrem Schmerz): Seh’s direkt mit den Flügeln schlagen.
Weißt.
Wie früher.
Ähnlich ist das mit den Menschen. Na und.

Kind (klar): Kommt nicht mehr zu sich. (lacht.)

Mutter (mechanisch): Ich hab dich lieb. (nimmt das Kind an beiden Händen.)

Kind (klar, befreit sich aus der Umarmung der Mutter): Und wird immer gestorben sein. (Hebt Kringel hoch und streichelt ihr wieder die Haare.)

Präparator (enthusiastisch): Und ich hör es noch zwitschern.

Kind (klar): Träumt nicht mehr. Nicht von dir. Nicht von mir. Mama. Wie wird das Vogerl gestorben sein?
Mutter (beißt an den Nägeln. Mechanisch, stumpf, außer sich): Es wird vertrocknet sein. Von innen nach außen.

Kind: Warum?

Präparator spielt im Hintergrund mit der Vogelleiche. Lacht laut auf.
Kurze Pause.

Kind (kämmt die Puppen. Versucht, sich und ihnen zu erklären, was gerade passiert ist.): Und schaut noch mit den Augen. Und hat keine Träume mehr von einem Freund. Wenn es gestorben ist.

Mutter (stumpf, traurig, auf ihre Nagelbetten blickend): Durchfall. Das Vogerl ist wie Dörrobst. Weißt. Die Zwetschken, die du so gerne isst.

Kind: Ich hab dich lieb, Mama.

Mutter (versucht, sich zu fassen): Zum Glück haben wir dem Glück die Organe rausgenommen, damit es nicht mehr wegfliegen kann. Wie die Menschen.

Kind (klar, den Puppen erklärend):Wenn man gestorben ist, schleckt man einen Freund nicht mehr ab im Traum. Weil wenn man gestorben ist, träumt man nicht mehr von einem Freund, weil man nicht schlafen kann.

Mutter (geht noch einmal auf Kind zu, küsst dem Kind den Nacken, diesmal nicht mechanisch): Ich hab dich lieb.

Kind (den Puppen und der Mutter erklärend): Und kann nicht mehr. Mit den Flügeln schlagen. Aufs Sofa hüpfen.

Präparator (freudig mit den Flügeln der Vogelleiche spielend): Direkt wippen seh ich’s noch mit dem gefiederten Köpfchen. Und hopsen auf den federnden Füßen.

Kind: Die Augen macht’s nicht auf und zu. Nimmermehr.

Mutter (die Freude des Präparators gespielt übernehmend): Und haben das Glück im Wohnzimmer.

Präparator (freudig): Schön nicht. (lässt Vogelleiche nach hinten plumpsen.) Das macht dreitausend.

Mutter (irritiert): Wie.

Kind (verträumt aus dem Fenster guckend): Dreitausendmal Sonnenschein. Ich kenn eine Farbe, die hat noch keiner gesehn.

Präparator (geht auf die Mutter zu. Immer noch gespielt freudig aber kalt): Bar und auf die Hand. Ohne Bezahlung geh ich nicht außer Haus.

Mutter (weicht ihm aus. Entschuldigend): Es krieselt.

Präparator (kalt werdend): Was heißt das.

Mutter (beißt an den Nägeln. Entschuldigend): Ich kann’s mir nicht leisten. Sag ich.

Präparator (kurz angebunden): Verstehe. Dann nehm ich die Organe. (geht nach hinten, stopft die pinken Gedärme, die noch neben Vogerls schlaffem Körper liegen, in seine Tasche.)

Mutter: (dankbar, eine Standardfloskel verwendend, nicht wissend, dass der Präparator es wörtlich nehmen wird): Bin ihnen was schuldig.

Präparator (lacht schrill auf, setzt seine Showmaster- Sonnenbrille auf, wieder freudig): Das sind sie. (verlässt brabbelnd die Neubauwohnung) Präparationsangebote: Ausstopfen, Bleichen, Gerben, Montieren.

Mutter (sieht Präparator lange nach. Kippt wieder fast nach vorne. Fängt sich dann. Im Befehlston) Schlafen jetzt. Sag ich. Zähneputzen. Pyjama anziehn. Wiescherln. Abwischen. Sag ich.

Kind (geht nach hinten, nimmt das schlaffe Vogerl unterm Arm und legt es ins Bett. Holt dann auch Kringel und Kuschel und legt sie auf die bauschige Decke. Dann, den Tonfall der Mutter imitierend) Gut, dass es tot ist, das Vogerl. Jetzt kann’s uns nie wieder mehr ins Bett kacken. Nein. (spielt mit Kuschel und Kringel.) Oder?

Kringel: Ich weiß nicht.

Kind: Und ihr Kringel und Kuschel?

Kuschel: Und wie das Kauen wehtut.

Kringel: Wie einem die Brösel im Schlund.

Kind: Kratzen?

Kringel: Ja. Will mir am liebsten den Geschmack aus den Backen kletzeln.

Kuschel: Mir an die Nase kleben?

Kringel: Vielleicht.

Kurze Pause.

Kuschel: Aber ich möchte nichts von dir.

Kringel: Natürlich nicht.

Kind: Wie jetzt.

Kuschel: Nur wie einen Grashügel mit dir runterrollen, Kringel.

Kringel: Dass einem ein Flügel aus dem Schulterblatt wächst, vielmehr: rausschießt.

Kuschel: Nein. oder: Ja.

Kringel: Oder: Mit dir einwickeln lassen.

Kuschel: In rosa Frottier.

Kringel: In türkisen Plüsch.

Kuschel: An deinem Finger nuckeln.

Kind: Wirklich?

Kringel: An den Nägeln deines großen Zehs knabbern.

Kuschel: Ja, genau. Vielleicht.
Und mit dir, Kringel, von einem Dach runterkullern in einen Heuhaufen und das kratzt in den Arschbacken und.

Kringel: Aber es ist wollig.

Kuschel: Natürlich: wollig.

Kringel: Es lässt sich gar nicht in die Hände nehmen.

Kuschel: Es bauscht.

Kringel: Man kann’s nicht kuscheln.

Kuschel: Vielleicht.

Kringel: Aber ich möchte nicht.

Kuschel: Nein.

Kringel: Ich brauche gar nicht.  

Kuschel: Natürlich nicht.

Kind: Was braucht ihr nicht?

Mutter(nimmt Kind Kuschel und Kringel aus der Hand und legt sie neben den Polster.): Licht aus. Hände auf die Decke. Das hier ist Krisengebiet. Gute Nacht, Sonnenschein.

Licht aus.


3. Vogerls Geschichte

Vogerl (neckend): Nimm die Hände vom Kropf. Ich bin doch kein Kuscheltier.

Kurze Pause. Kind ist zunächst ein wenig verwirrt. Dann aber.

Kind: Entschuldigung.

Vogerl (verschmitzt): Ich leb noch. Weißt.

Kind: Ich sag’s nicht weiter. (kichert. Setzt sich auf. )

Vogerl (setzt sich auch auf. Verschmitzt, Kind neckend): Aber fummel mir nicht so komisch am
Gefieder rum.

Kind (Kuschels Tonfall imitierend): Du bist kuschlig.

Vogerl: Sagst du.

Kind: Hab dich lieb, auch (den Tonfall der Mutter nachahmend) wenn du jetzt wieder scheißt und lebst und aus deinen Augen rausglotzt.

Vogerl: Weißt, ich bin gar kein richtiges Vogerl.

Kind (verträumt): Und ich kenn eine Farbe, die hat noch keiner gesehn.

Vogerl (mit Nachdruck): Ich mein, was ich sag. Jetzt kitzel mir nicht so komisch unter den Flügeln,
da muss ich lachen. (kichert. Kind kichert mit.)

Mutter (dreht das Licht an und betritt den Raum. Vogerl fällt sofort wie tot mit seinem Körper nach hinten. Kind versucht, sich ein Kichern zu verkneifen. Mutter im Befehlston): Ruhe. Das sind die Zeiten der Krise. Es kriselt. Sag ich. Licht aus und Mund zu jetzt. (zögert kurz, dreht sich dann noch einmal um):
Mir scheint, du lachst doppelt. Was war das.

Kind: Ich seh ich seh was du nicht siehst.

Mutter: Gleich nimmer. Sag ich. (dreht das Licht ab.) Gute Nacht, Sonnenschein.

Kind und Vogerl setzen sich wieder auf. Sie flüstern und brabbeln nun in verschwörerisch- freundschaftlicher Atmosphäre, wie zwei Mädchen auf einem Volksschullager.

Kind: Lass uns wispern.

Vogerl: Na gut.

Kind (fröhlich): Ich bin trotzdem froh, dassdu lebst.

Vogerl (nachbohrend): Was heißt das.

Kind: (den Tonfall der Mutter imitierend) Dassdu kackst und schlecht riechst ausm Schnabel.
Dassdu gefüttert werden musst und aus den Augen lächelst, wenn man dich anschaut. Dassdu alt wirst. Runzlig und vertrocknet. Dassdu das Sterben noch vor dir hast. Dassdu noch brauchst, bis du nimmer zu dir kommst. Ich auf dich achten muss, dass ich dich nicht eingehen lass, wie einen alten Kaktus. (im eigenen Tonfall, liebevoll): Die Mutter wollt dich gar nicht behalten, als du uns zugeflogen bist. Sie wollt lieber ein Maschinenvogerl, das kannst an- und abdrehn. Ich hab für dich gekämpft. Dass ich dich haben will, hab ich gesagt. Nur dich.

Vogerl (schockiert): Was heißt das.

Kind (wieder im Tonfall der Mutter): Dass ich mich ärgern muss, weil du es nicht magst, wenn ich dir das Gefieder kraul. Dass du so ganz eigen bist. Das ist nicht lustig, manchmal.

Vogerl: Aber ist’s besser.

Kind: Ich weiß nicht.

Kurze Pause.

Vogerl (steht auf und geht in der Wohnung herum. Plötzlich sehr traurig): Ich muss dir was sagen. Bin gar kein richtiges Vogerl.

Kind (verträumt): Ich seh ich seh was du nicht-

Vogerl (hört Kind gar nicht): Hatte mal einen Namen. So als wär das was.

Kind (verspielt): Und was wirst du, wenn du groß bist?

Voger (stockt. Sieht Kind an.): Ich bin groß.

Kind: Wenn ich groß bin, werd ich ein Verrückter.

Vogerl (wieder wie zu sich selbst): Ida habn sie mich genannt.

Kind kichert.

Vogerl (die Traurigkeit abschüttelnd): Und wie heißt du.

Kind: Kind.

Vogerl (wieder traurig in die Erinnerung zurückfallend): Ida. Die Ida kann malen.
Bubi-Kopf hatte ich. Walnussbraun.

Kind: Wirst du auch ein Verrückter, wenn du groß bist?

Vogerl: Ich bin groß geworden und die haben über mich gesagt: Die ist eine Verrückte.

Kind (neugierg werdend, steht auch auf): Was heißt das.

Vogerl: Ich weiß nicht. Mir ist der Ritzdruck gebliebn. Radierungen. Aquarelle.

Kind: Was heißt das.

Vogerl: Ich zeichnete immer. Schon als ich ein Kind war. Kohlköpfe. Stadtwesen. Maschinenmenschen. Ich zeichnete Bakterien, deren Hautkörper versponnen waren mit dünnen durchsichtigen Fäden. Mikroben zeichnete ich. Einzeller. Elektronen. Neuronen. Gesprochen hab ich nie.

Kind: Und dann?

Vogerl: Sie haben mir die Hände am Rücken abgebunden, damit ich keine Pinsel mehr halten kann.
Dann haben sie mir die Finger abgeschnitten. Einen nach dem anderen. Ich spürte sie fallen und den Boden berühren, obwohl sie schon längst nicht mehr an mir dran waren.

Kind (aufgrund von Vogerls Traurigkeit auch traurig werdend): Mein Bauch ist, als hätt ich eine Melone verschluckt. Irgendwer bläst Kaugummi in meinem Bauch. Und der Bauchnabel ist ein Schnuller nach innen. Die Dunkelheit macht viele Muckser. (will sich selbst von der Traurigkeit ablenken): Grün grün grün sind alle meine Kleider. Komm, sing mit. (nimmt Vogerl an der Hand und will loslaufen, Vogerl bleibt regungslos).

Vogerl: Sie klebten mir Federn an die Handstümpfe. Die Unterarme. Die Achselhöhlen. Dann brachen sie mir den Kiefer mit einem Faustschlag.

Kind (singt ganz laut, sich von der Traurigkeit ablenkend): Grün grün grün sind alle meine Kleider. Grün grün grün ist alles was ich hab. Darum lieb ich alles was so. Komm sing mit jetzt.

Mutter (dreht das Licht an. Vogerl kippt wieder in der Todesstarre nach hinten, Kind fängt es auf und tut so, als hätte es Vogerl die ganze Zeit mit sich getragen. Mutter im Befehlston): Ruhe. Das Finanzsystem befindet sich in der größten Krise seit also seit langem. Das ist kein Spass jetzt. Sag ich. Härter werden die Zeiten. Sag ich. Drum schlaf jetzt. Füße unter die Decke. Dassdu morgen brav auf der Schulbank sitzen kannst. In den Computer tippen. Finger über Tastatur. Schneller schneller. Von nix kommt nix, sag ich. Schlaf jetzt. Die Müdigkeit macht Ringe unter den Augen, die Ringe erinnern an den Tod, das will keiner sehen. Gute Nacht jetzt. Sag ich. Schlaf. (dreht das Licht wieder ab.)

Vogerl (flüstert in den Armen des Kindes): Sie amputierten mir die Lippen. Die Zähne. Ätzten mir die Haut um den Mund herum weg. Dann klebten sie einen Schnabel dran. Aus Wachs. Ich hab lang sprechen geübt, bis ich’s wieder konnte. Weißt du.

Kind (verspielt, will Vogerl und sich ablenken): Wenn ich groß bin, werd ich ein Ringelstrumpf. Aber das sag ich der Mutter nicht. Streng geheim. (läuft um Vogerl herum und zeigt ihm die Zunge.)

Vogerl (zu sich selbst): Mein Herz ist ganz welk geworden. Früher hab ich Figuren aus Zellen gemalt. Schwarze Tusche. Rote Tusche. Spiralen in verschiedenen Farben. Fadenmenschen. Einen Panzer mit Mund. Wolkenartige Wesen. Eine Frau mit Froschschenkeln Froschfüßen. Irgendwem hat’s nicht gefallen. Sie haben mich einliefern lassen. Weiße Wände. Mehr weiß ich auch nicht.

Kind: Manchmal machen die Lichtstreifen Fransen durch die Rollos. In der Dunkelheit ist alles gleich sonst. (kichert.)


4. Die Rückkehr des Präparators

Mutter hockt auf dem Bett und baumelt mit den Beinen. Sie steht kurz auf, sieht aus dem Fenster. Ob ihr auch niemand zuschaut. Sie schließt dann die Türe. Greift mit beschämtem Gesichtsausdruck nach Kringel und Kuschel. Blickt sich noch einmal verstohlen um. Die beiden haben über Nacht Kleidung getauscht und sind kaum voneinander zu unterscheiden. Außerdem sind sie ein ganzes Stück gewachsen. Sie sind jetzt so groß wie Kind selbst, könnten auch von Kindern gespielt werden. Allerdings haben sie noch immer keine eigene Stimme. Sollten die Puppen also von Menschen gespielt werden, dürfen diese nur die Lippen auf- und zu machen. Mutter beginnt, mit den Puppen zu spielen. Dabei hat sie einen Gesichtsausdruck wie ein Kind, das heimlich Schokolade isst. In ihren Gesten ist auf einmal eine tiefe Zärtlichkeit.

Kuschel: Magst du nicht meine Finger abzähln.

Kringel: Mit den Lippen.

Kuschel: Einfach so?

Kringel: Ganz unverfänglich.

Kuschel: Natürlich

Kurze Pause.

Kringel: Und mein Ohr.

Kuschel: Passt in meinen Mund.

Kringel: Eine Feige.

Kuschel: Knabbergebäck.

Kringel: Mir sirrt’s in den Kniekehlen.

Kuschel: Flatterzunge.

Kringel: Die Pupillen kullern mir noch aus den Augen.

Mutter (freudig, verspielt): Kringel und Kuschel lieben sich und wollen sich gegenseitig aufessen. (plötzlich wieder hart. Wirft die Puppen aufs Bett.) Das hat der Vater mir auch gesagt und ist abgehaun dann. Wir leben in den Zeiten der Wirtschaftskrise. Es krieselt. Vergiss das mal mit der Liebe. Sag ich. Mir. Rennt da der Mann weg. Und dann allein gewesen mit einem Kind, das immer nur zeichnet und aus den riesigen Augen rausguckt. Nicht sprechen will. Aber ich hab doch nichts falsch gemacht, oder. Ida hab ich sie genannt. Sie selbst hat diesen Namen nie ausgesprochen. Nix hat sie ausgesprochen. Hat nicht wollen. Stattdessen das wirre Gekritzel. Die seltsamen Wesen, die sie auf’s Blatt malte. Sie haben sie mir weggenommen. Aber Kinder lassen sich ja leicht machen. Da flutschte schon wieder ein Neues aus mir raus. Das mit dem An- und Abdrehn funktioniert auch noch nicht bei dem. Angst hab ich. Darf es nicht verlieren diesmal. Hab ich was falsch gemacht? Ich werde es richtiger machen. Und das mit der Liebe, das ist ein Geheimnis. Das sag ich dann keinem. Nie wieder. Die lachen dich aus. Und es sind die Zeiten, in denen es krieselt. Drum: Schultasche packen und „Schenk dein Jausenbrot nicht her“ sagen. Das hilft gegen die Angst. Alles wird besser. Oder. (Sieht zu den Puppen hinüber. Das Gesicht wird wieder weich und zärtlich. Mutter greift abermals nach Kringel und Kuschel. Kichernd.)

Kuschel: Aber ich muss gar nicht.

Kringel: Ich brauch auch nicht

Kuschel: Nur: Schau noch mal in die Sonne und kneif das linke Auge zu.

Kringel: Ganz unverfänglich?

Kuschel nickt.
Kurze Pause.

Kuschel: Die Hosen schlabbern mir um den Nabel.

Kringel: Mein ganzer Bauchspeck, als hätt ich ihn rausgepustet.

Kuschel: Ja, genau.

Kringel: Geht es dir auch.

Kuschel: Ja.

Kringel: Ist wohl die Hitze

Kuschel: Der Kaffee.

Kringel: Die Sommersprossen flunkern sich nur so auf meine Nase.

Kuschel: Wie.

Kringel: Die hatte ich nie.

Kuschel: Du lügst.

Kringel: Natürlich.

Mutter (erklärt dem Fernseher): Das Kuschel und das Kringel habn sich so lieb, dass sie sich ineinander verwandeln. Ganz langsam. Nur mir wird das nimmer passieren. Nie wieder. Hab das mit der Liebe vergessen. Kind ist jetzt mein einziger Sinn. Na und. (Nimmt die Puppen wieder zur Hand, weint ein wenig. Lässt sie einander küssen. Einander ausgreifen. In ihren Bewegungen liegt die Unerfülltheit ihres ganzen Lebens.)

Präparator(betritt die Bühne. Freudig und in Showmasterton): Gerben. Bleichen. Montieren. Guten Morgen, Sonnenschein.

Mutter (lässt vor Schreck die Puppen fallen. Fühlt sich ertappt. Wird rot vor Scham. Bemüht oberflächlich): Das Glück ist ein Vogerl.

Präparator: Wissen Sie noch.

Mutter (sich ins mechanische retten wollend): Psychische Krise.
Physische Krise.
Wirtschaftskrise.
Das hier ist Krisengebiet. Sag ich. (bückt sich nach der Fernbedienung.)

Präparator (ironisch): Woher wissen Sie.

Mutter (erklärend): Das meint doch der Fernsehr. Mein Nabel zur Welt. (deutet ins Publikum, die Fernbedienung zittrig haltend.) Drum: (Befehlston): Putzen. Arbeiten. Gesichtsmaskara. Was kann ich für sie tun.

Präparator (hart): Ihre Schulden begleichen. (kichert hysterisch, setzt sich neben Mutter auf’s Bett.)

Mutter (steht auf. Ablenkend): Trinken sie auch Tee.

Präparator: Ich arbeite hart.

Mutter (unterwürfig, wohlwollend): Ja. Und danke. Zum Glück haben wir dem Glück die Organe rausgenommen, damit es nicht mehr wegfliegen kann.

Präparator: Alle hätten gern das Glück in ihrem Wohnzimmer. Nein?
Aber Dienstleistungen haben ihren Preis. (steht auf und geht auf Mutter zu)

Mutter (will ablenken): Und ich hör es immer noch zwitschern. In meinem Kopf.

Präparator: Das Glück ist teuer, wenn es privat sein soll. Ich verlasse meine Wohnung, um zu arbeiten. Gerben Stopfen Montieren Bleichen. Sie sind nicht reich. (kommt immer näher auf Mutter zu.)

Mutter: Wie früher. Nur dass es nicht mehr rausguckt aus seinen Augen. Nicht mehr von mir träumen kann, das Vogerl.

Präparator: Also.

Mutter (unter dem Druck seiner Forderungen den Tonfall des Kindes imitierend): Wenn man tot ist, träumt man nicht mehr von einem, der sein Freund gewesen ist. Oder.

Präparator: Ich bin nicht ungut und tu nur meine Arbeit. Aber Dienstleistungen haben ihren Preis. Das heißt. Entweder Sie selbst oder Ihre Tochter. Tut mir Leid. Jeder muss sehn, wo er bleibt. Nein.
(bleibt vor Mutters Gesicht stehen. Mutter weicht aus, tänzelt in der Wohnung rum.)

Mutter (mit der Stimme des Kindes, die vom Band kommt): Guten Morgen, Sonnenschein. Nun vergiss all deine Sorgen, denn du sollst ja fröhlich sein.
(wieder im eigenen Tonfall, traurig):
Schaun Sie, wie das Licht kitzelt im Blick. Die Sonnenstrahlen an den Wangen. Schön nicht. Ich hab Menschen verlieren müssen, na und. Das Vogerl sitzt stumpf am Sofa. Ich hab das Glück gepachtet. Wird nicht mehr weggehen jetzt. Oder.

Präparator: Und bin auch nicht herzlos. Aber Arbeit muss belohnt werden. Damit das System sich selbst erhalten kann. Das verstehen Sie doch. (geht wieder auf Mutter zu.)

Mutter: (im Tonfall des Kindes) Und es wird immer gestorben sein, also kann ihm nix mehr passieren dem Vogerl, es-

Präparator: Wenn Sie nicht mit Arbeit bezahlen, dann nehm ich das Kind. Es sind die Zeiten der Krise. Riesen Krise. Kriegskrise.

Mutter (fällt ihm ins Wort): Ich hab schon ein Kind verloren einmal. Ida hieß die. Na und. Schizophrenie haben sie gesagt. Selber Schuld. Oder. Na und. Später dann bekam ich einen Brief aus der Klinik. Den trag ich immer in der Hosentasche ganz nah an meinem Oberschenkel. Und weiß auch nicht, warum. (zieht den Zettel aus der Jeanstasche. Liest)
Wir teilen ihnen mit, dass ihre Tochter aufgrund ministerieller Anordnung gemäß Weisung des Herrn Präparationsverteidigungskommissars in unsere Anstalt verlegt und gut  hier angekommen ist. Besuche können zur Zeit aus mit der Präparationsverteidigung in Zusammenhang stehenden Gründen nicht zugelassen und aus gleichem Grunde telefonische Auskünfte nicht erteilt werden.

Mutter lässt den Zettel sinken. Kurze Pause.

Mutter (versucht, sich zu rechtfertigen): Selber Schuld, oder. Später habn sie mir gesagt, dass Ida gestorben sei. Pneumonia.
Sie kommt nicht mehr zu sich.
Na und.
Sie wird immer gestorben sein.
Na und.
Wenn man tot ist, riecht man nicht mehr aus dem Mund sag ich.
Oder?
(weint, traurig): Jetzt wird sie immer gestorben sein und nicht mehr träumen von den Maschinenmenschen, den Mikroben, Amöben, Neuronen, die sie gemalt hat, immer wieder, als hätt sie Angst vor irgendwas. Die Ida. Nie hat die gesprochen. Immer nur gezeichnet. Aber ich hab doch nichts falsch gemacht, oder.

Präparator (holt Handschellen aus seinem Koffer mit Plastikstickern. Geht auf Mutter zu.): Ich verstehe Ihren Schmerz. Aber erinnern Sie sich. Sie sind mir was schuldig. Ich gehe normalerweise nicht außer Haus, wenn ich nicht bezahlt werde.  

Mutter: Und alles nur, weil wir das Glück pachten wollen. Oder?

Präparator: Ich muss auch schaun, wo ich bleib. (drängt Mutter an die Wand.)

Mutter: Die Ida wird immer gestorben sein.

Der Präparator drückt Mutter an die Wand.

Präparator: Und Sie haben doch sicher Ihr Kind lieb. (lacht schrill auf. Nimmt Mutters Hände und steckt sie in die Handschellen.)

Mutter (wehrt sich nicht, lethargisch, zu sich selbst): Selber Schuld, oder.

Pause.

Mutter (plötzlich verzweifelt): Aber Kind?

Präparator (lässt die Handschellen über Mutters Handgelenken zuschnellen): Und das Kind kann weiterhin mit ihnen reden als wär nix.

Mutter (singt im Tonfall des Kindes, dessen Stimme parallel dazu vom Band kommt): Guten Morgen, Sonnenschein. Nun vergiss all deine Sorgen, denn du sollst ja fröhlich sein. (Präparator führt sie ab.)


5. Vogelmutter

Eine riesige Fabrikhalle. Teile von Frauen- und Vogelkörpern laufen auf Fließbändern hin und her. Mutter sitzt mit verbundenen Augen auf einem Stuhl in der Mitte der Fabrikhalle. Der Präparator und einige andere Präparatoren stehen um sie herum. Die Präparatoren aus dem Chor der Präparatoren tragen alle dieselben grauen Anzüge und nach hinten gegelte schwarze Haare. Sie haben Föhne, Make-up, Lippenstifte und Messer in der Hand. Präparator und Chor der Präparatoren sprechen immer im Befehlston.


Präparator: Arme amputieren
Haare arrangieren.
Titten plustern.
Lippen bauschen.
Fett absaugen.
Große Augen.

Der Chor der Präparatoren schneidet Mutter mit dem Messer die Finger ab.

Mutter (lethargisch): Meine Finger fallen zu Boden.

Präparator: Wimpern tuschen.
Keine Flüche.
Plastik körpern.
Tanga arschen.
Spalten spreizen.
Mündchen spitzen.
Positiv jetzt.
Bleichen.
Gerben.

Chor klebt Mutter Federn an die Achseln. Arbeiten sich dann vor bis hin zu den Handinnenflächen.

Mutter: Ich werd immer gestorben sein. Nein.

Präparator: Fließbandmädl
Kalorien zähln.
Abstrakt fickn.
Was Orgasmus.
Immer toughen.
Hirn rausschälen.
Herz zerquetschn.
Darm auslüften.
Röckchen lüpfen.
Essenskapseln.  
Vitamin- Shake.

Chor klebt weiter.

Mutter: Das kitzelt. Krieg ich Federn? Engelsflügel?

Präparator: Kind und Mutter.
Krankenschwester.
Porno/ Pop /Star.
Push- up Baby.
Kuscheltierchen.  
Kindchenschema.
Plüsch und pink.

Mutter (summt): Grün grün grün sind alle meine Kleider.

Präparator: Beine brechen
Beine langziehn.
Finger Mundsteck.
Essen brechen.
Ausskeletten.
Strapsen tragen.
Muschi shaven.
Immer lächeln.
Zähne blitzen.
Falten hassen.
Rillen hassen.

Mutter erbricht sich wieder und wieder. Sie ziehen ihr Strapse an und nähen ihr die letzten Federn an die Handinnenfläche.

Präparator: Immer weiter.
Rauf rotiere.
Runter kippen.
Nichtmehr altern.
Nichtmehr Eltern.

Mutter: Kind. Ich hab dich lieb. Oder? Kind. (läuft mit verbundenen Augen herum, der Chor kreist sie ein und stößt sie von der einen Seite zur nächsten.)

Chor der Präparatoren: Lächeln lernen!
Haare wickeln!
Puzzy spielen!
Ware werden!
Konservieren!
Amputieren!
Arrangieren!
Anorexieren!
Onaniern!
Dann Montieren!
Biophilieren!
Bulimieren!
Busilieren!
Beautylieren!
Babylieren!
Nixverlieren!

Mutter: Ich bin keine Frau mehr jetzt. Bin Vogelmutter. (kichert schrill.)

Die Präparatoren brechen der Vogelmutter den Kiefer, so dass sie nicht mehr sprechen kann. Dann  nähen sie ihr einen Schnabel an die Lippen an.


6. Das Glück ist immer noch ein Vogerl

Kind liegt im Bett und schläft. Vogerl steht am Fenster und blickt hinaus. Kringel und Kuschel haben wieder einen Teil ihrer Kleidung umgetauscht und sind abermals ein Stückchen gewachsen, werden nun von Schauspielern dargestellt, deren Stimmen dennoch die des Kindes sind und von einem Tonband aus zugespielt werden.


Kuschel: Und bin ich wieder ein Kind, das die Schnuller in den speckigen Fingern herumdreht.

Kringel: Baby- Buddha.

Kuschel: Muss mich beruhigen.

Kringel: Kribbeln im Kiefergelenk, dass es knackst.

Kuschel: Als müsst ich dich jedes Mal, wenn ich dich anschau.

Kringel: Von neuem runterschlucken?

Kuschel: Vielleicht.

Kurze Pause.

Kringel: Du.

Kuschel: Und wenn du mich mal ins Auge fickst.

Kringel: Wird es verfänglich. Bin ich schon du jetzt.

Kuschel: An den Rändern.

Kringel: Mit den Fingern.

Kuschel: Mit dem eitrigen Nagelbett.

Kringel: Mit der nach vorn geknubbelten Nase.

Kuschel: Trink ich deinen Scheidenpilz zum Frühstück.

Schweigen.

Kringel: Du.  

Kuschel: Sie sollen uns zusammenfalten und in ein Päckchen stecken.

Kringel: Warum.

Kuschel: Dann riech ich mehr.

Kringel: Von mir.

Kuschel: Vielleicht.

Vogerl (schiebt die beiden Puppen vom Bettrand und weckt Kind.): Guten Morgen, Sonnenschein.

Kind: Guten Morgen, Sonnenschein.

Kind blickt sich um. Kurze Pause.

Kind (geschockt): Wo ist die Mutter.

Vogerl (beruhigend): Stell dir vor, sie hackt ihre Sätze mit der Stimme ab wie immer.

Kind: Im Himmel sind die Wolken dunkle Patzen. Jeder hat wen. Wie das Kringel das Kuschel. Wo ist die Mutter. (steht auf.)

Vogerl (singt im Tonfall des Kindes): Guten Morgen, Sonnenschein. Singen. Das hilft gegen die Krise, Kind.

Kind (bockig): Da scheint nix. Nur gemanschtes Grau hinterm Fenster. (läuft herum, sucht nach der Mutter im Schrank und unterm Bett.)

Vogerl (liebevoll): Singen hilft gegen’s Bauchweh. Lächel mal. (singt) Grün grün grün sind alle meine Berge.

Kind (schweigt. Lange. Vogerl stupst es mit den Flügeln an. Tanzt ein bisschen herum. Fiepst ganz laut und fröhlich: "Guten Morgen, Sonnenschein". Kind hört nicht auf, stumm da zu sitzen.)

Vogerl: Komm schon, Kind.

Kinds Miene erhellt sich plötzlich. Es steht abrupt auf und geht mit schnellen Schritten zum Kleiderschrank. Holt eines von Mutters Kleidern aus dem Schrank. Es hält Vogerl die Kleider hin.

Kind: Zieh die an.

Vogerl versucht, mit seinen Flügeln ins Kleid zu kommen. Geht nicht. Kind holt eine Schere und schneidet den Stoff an den Achselhöhlen auf, so dass Vogerl nur mit dem Kopf durch den Kragen schlüpfen muss.

Kind: Und jetzt sprich mir, nach sprich mir nach jetzt: (mit Mutters Stimme vom Tonband, Kind nur die Lippen bewegend) Aufstehn. Wiescherln. Zähneputzen. (im eigenen Tonfall) Na los.

Vogerl  (abwehrend): Bin doch kein Maschinenvogerl. Und du hast gesagt, genau darum hast du mich so lieb.

Kind (Vogerl überredend): Sätze kann ein jeder lernen. Komm. Sag: (mit der Stimme der Mutter vom Tonband, gleichzeitig, den Tonfall der Mutter imitierend): Die Krise ist eine Mittelschichtskrise. Drum: Aufstehn. Zähneputzen. Vergiss nicht dein Jausenbrot. Schenks nicht her. Selber essen. Schneller packen.

Vogerl (den Tonfall der Mutter imitierend): Die Krise ist eine Mittelschichtskrise. Drum: Aufstehn. Zähneputzen. Vergiss nicht dein Jausenbrot. Schenk’s nicht her. Selber essen. Schneller packen.

Kind geht in die Küche und kommt mit einem Jausenbrot wieder. Es reicht Vogerl das Jausenbrot, damit Vogerl ihm das Jausenbrot geben kann. Dann packt es seine Tasche. Gibt Vogerl einen Kuss auf den Schnabel. Geht ab.  

Vogerl (nachdenklich, traurig): Die Ida war ich.
Was bleibt.
Federn an den Handgelenken, den Schläfen.
Mund aus Hornhaut.
Lippenamputiertes Skelett in Strapsen.
Dass sie mich in ein Vogerl verwandelt.
Wer hat denn nicht gern ein Vogerl daheim, in der Enge einer Neubauwohnung.
Vor allem wenn der Vater fehlt.
Ich bin das Vogelglück. Bin buntgebauschtes Gefieder jetzt. Finden die.
Was ist übrig von Ida.
Die Augen sind übrig.
Mein Gesicht besteht nur mehr aus Augen.
Tschiwitschen haben sie mir beigebracht die Präparatoren.
Haben gesagt: Tarn dich gut. Nur wer brav fiepst, den will die Kleinfamilie in ihrem
Wohnzimmer stehen haben. Tschiwitsch. Tschiwitscht also hab ich.

Dann aber: Bin ihnen entkommen. Hab den Körper den Händen der Präparatoren entwunden. Flog ich, taglang. Nachtlang. Irgendwann am Fensterbrett der Neubauwohnung gelandet. Daheim. Mutter. Sah ich sie hinter der Glassscheibe. Ihre eingefallenen Wangen. Die stark hervortretenden Backenknochen. Der Gang, als würd sie vornüber kippen. In jedem Moment das Gleichgewicht verlieren. Mutter. Alt und hart geworden. An den Augen hätt sie mich erkennen können.
Aber nein. Sie hatte mich vergessen. Da war ein neues Kind. Hellbrauner Pagenkopf wie ich.
Das schleifte zwei hässliche Puppen hinter sich her. Das Kind. Puppen mit flachen Nasen und rotzigem Blick. Es öffnete das Fenster. Grabschte mit pummeligen Händen nach mir. Quiekte, dass es mich haben will. Und wie ich’s gehasst hab das Kind. Bis es begonnen hat, mit mir zu spielen. (singt, die Stimme des Kindes immitierend): Grün grün grün sind alle meine Kleider. Grün grün-

Pause.

(schnell, abgehackt, panisch): Nein. Kann nicht. Nein geht nicht. Die Mutter für ein Kind spielen, das eigentlich ich selbst hätt sein können. Ida wär ich gewesen. Gemalt hätt ich. Amöben, Schlingpflanzen, Mikroben, fein ineinander verschlungen. Filigrane Nester aus Spitzenhäuten. Jetzt lassen sich keine Pinsel mehr halten. Bin Mundtot. Bin Staksfuß. Bin nichts als Federweiß und quietschende Scheiße. Es reicht. Präparator. Präparator.

Präparator (betritt die Neubauwohnung.): Ich hab ein Angebot. Bei mir lernen sie: Gerben Bleichen Montieren Amputieren Arrangieren Busilieren. (lächelt.) Ich glaube, wir kennen einander?

Vogerl: Ja.

Präparator: Haben wir sie nicht in der Reichspräparationshalle präpariert.

Vogerl: Ja. Und sie wissen’s.

Präparator: Ja. Waren entkommen manchmal. Bevor sie perfekt sind. Sie sind noch eine Überlebende. Das können wir ändern. Wir können sie an die Spitze der Queen of the Biomacht stellen. Haben sie Interesse, in der Oberpräparationshalle zu arbeiten?

Vogerl nickt.

Präparator: Dann sagen sie brav ihr Gedichtchen auf. Vogerl.

Vogerl: Ging’s nicht so: "Bin die Königin der Waren.
Die Kindfrau mit den üppigen Brüsten.
Ich hab das Glück gepachtet, das tickt nur so rum in meiner Brust.
Queen of the Biomacht".

Präparator (lacht hystherisch auf): Brav gelernt. Als ehemalige Präparation passen sie uns
tatsächlich vortrefflich in die Reichspräparationshalle. Präparierte präparien am Besten.

Vogerl: Jeder muss schaun wo er bleibt, wenn er das Glück für sich haben will. Nicht.

Präparator: Und weiter. Ich mein, das Gedichtchen.

Vogerl: "Ich bin der heilige Plastikkörper ohne Hände.
Bin die sterile Schönheit, die in ihrem Body hockt, als wär’s ein Glassarg.
Ich nestel an deinen größten Sehnsüchten mit meinen Flügelhänden.
Bin die Königin der Waren.
Bin die Königin des Kapitals.
Bin die Königin im Kindchenschema.
Vogel und Spielzeug.
Schlank und mundtot.
Federvieh. dem nie was zuviel ist.
Bin die Königin des Lächelns.
Bin die Königin des Glücks."

Präparator: Wunderbar. Ich sage nur: Ausstopfen. Gerben. Bleichen. Montieren. (nestelt an seinem Koffer mit Glitzersticker rum und findet darin einen Anzug. Will Vogerl den Anzug anziehen, der genauso aussieht wie seiner.) Nur die Flügel. Die müssen wir Ihnen noch ein wenig stutzen, Vogerl. Schnipp schnapp. Schneiden und Kürzen. Präparieren. Nixverlieren. (holt aus dem Koffer eine Schere, schnippelt an Vogerls Gefieder rum, bis so was wie leicht gefederte Handstümpfe übrig bleiben.) Und jetzt. Wolln wir gemeinsam unser Präparationsgedichtchen üben (spricht Vogerl vor):
"Bist die Königin des Plastikkörpers.
Bist die Königin des Positiven.
Bist die Königin im Vogelfliegen
Bist die Königin des kleinen Bauches.
Bist die Königin der Schmolllippen.
Bist die Königin des Kicherns.
Bist die Königin der Selbstaufopferung."

Vogerl als Präparator 1: Bist die Königin des Plastikkörpers.
Bist die Königin des Positiven.
Bist die Königin im Vogelfliegen.

Präparator (anfeuernd, mit der Stimme eines Hotelanimateurs): Gut machen sie das, Vogerl. Bei uns werdet Ihr präpariert. Wir stutzen euch zusammen und zaubern aus euch die Queen of the Biomacht! (deutet Vogerl, mit ihm mit zu sprechen.)

Vogerl als Präparator 1/ Präparator: Queen of the Biomacht!
Queen of the Biomacht!
Queen of the Biomacht!
Queen of the Biomacht!
Queen of the Biomacht!
Queen of the Biomacht!

Sie gehen ab.


7. Vogelmutters Futter

Wieder in der Fabrikhalle.

Präparator: Bist die Königin der Waren.  Die Wimpern rascheln im Ramsch gepanschter Tusche.
Der Körper und sein Bild im Paar flirten: vermischen sich ineinander die du bist die du wärst und
bleibt nichts übrig dazwischen. Verkrusteter Mundgeruch zwischen den Zähnen als letztes Menschlichkeitsmerkmal.
Gegossene Formen aus schlankem Geplänkel es gibt dich nicht.

Mutter (spricht nur mühsam, wie jemand der keine Zähne mehr hat und unter Schmerzen leidet, lethargisch):  Mir schwillt das Hirn an.

Vogerl als Präparator1 (hart): Gut so. Wir füttern dein Hirn mit Selbstsicherheit. Dassdu dich verkaufst auf dem Markt.

Mutter: Hatte ich mal Finger.

Vogerl als Präparator1: Denk nicht mehr dran. Vogerl.

Präparator: Bist die Königin des Kapitals.
Die Seele ist Sperrgut und hat keinen Platz sich in so einem
schlanken Körper zu
krümmen.
Come on!
Hockst im Innern deiner Schönheit und kannst nicht
mehr zurück nach
draußen.  
Pferchst dich ein in die
Abstraktion des Liebens als
Kalkulation deine
besten Freunde sind deine größten Feinde sind die
Kilokalorien.

Mutter (mechanisch): Ich bin die Königin der Waren (zu Vogerl, zaghaft): Oder.

Vogerl als Präparator1 (leicht liebevoll): Gut machst du das, Vogerl.

Mutter: Meine Lippen sind dumpf. Mir ist, als spräch ich durch ein Plastikrohr.

Präparator: Bist die Königin des Kindchenschemas
weil sie hinter Ohren noch nach Frischem riechen und
duziwuzi keine
Falten in die du dich duckst alle Rillen sind deine
Feinde.
Die panische Angst davor nicht verkauft zu werden macht
dich krank.

Mutter (mechanisch): Bin die Königin der Kinder. (zaghaft):Oder.

Präparator (hart): Lauter. Sag ich.

Chor der Präparatoren (mechanisch): Bist die Königin des Plastikkörpers.
Bist die Königin des Positiven.
Bist die Königin des kleinen Bauches.
Bist die Königin der Schmolllippen.
Bist die Königin des Kicherns.
Bist die Königin der Selbstaufopferung.
Bist am Sprung.  
Lässt dich begehren.
Liebst’s wenn du lieben kannst.
Anziehend damit sie dich kaufen du.  
Queen of the
Biomacht!

Präparator (geht zur Seite, wischt sich Schweiß aus der Stirne. Erschöpft): Anstrengend so eine Arbeit. So ein Menschsein. Immer schlecht riechen nach dem Schwitzen. Der Körper ist ein Tumor. Ist Riesenkropf und Schmerzbündel. Und aufmerksam muss man sein. Dass keines der Vogerl entkommt. Zum Überlebenden wird vor der vollendeten Präparation. Das sind die Gefährlichsten. Sie haben die Kraft, das System zu stürzen. Wir brauchen die perfekte Ware als Dienerin der Queen. Und wenn eines der Vogerl es schafft zu entwischen, müssen wir es finden. Es einkaufen. Dass es für uns arbeitet. Das Präparieren an anderen vollzieht. Die Queen duldet keine Revolutionen. Die Revolutionen schonen niemanden. Drum: Onanieren. Beautylieren. Präparieren. Und ich will ja auch nur schaun, wo ich bleibe. Ich mach auch nur meine Arbeit. Was für ein Karzinom dieser schwulstige Körper. (betupft sich mit einem Handtuch die schweißigen Schläfen.)

Vogerl als Präparator 1 (zur Mutter, zärtlich): Guten Morgen, Sonnenschein.

Präparator (summt, sich den Schweiß von der Stirn tupfend): Queen of the Biomacht.

Mutter: (zu sich selbst): Ach.

Präparatoren verlassen den Raum, um einen Käfig zu holen. Mutter und Vogerl als Präparator bleiben alleine zurück. Vogerl als Präparator reicht Mutter ein Glas Wasser.

Mutter (erstaunt, liebevoll): Ida.

Vogerl: Ja.

Mutter: Bist ein Vogerl geworden.

Vogerl als Präparator 1 (liebevoll): Das kannst nur sagen, weil du selbst eines bist. Ich war bei dir in der Wohnung, weißt. Du hast versucht, mich zu erwürgen.

Mutter (schaut Ida genau an.): Nur an den Augen hätt ich doch erkennen können, Ida. Jetzt aber bin ich Vogelmutter. Was ist passiert.

Vogerl: Ich weiß nicht. Hab keine Sätze mehr dafür. Nur Flügel. Mit denen lässt sich nicht zeichnen. Fliegen liesse sich. Aber wer will schon fliegen.

Mutter: Seit wann sprichst du?

Vogerl: Seit ich nimmer malen kann.

Mutter: Haben sie dich präpariert.

Vogerl (nickt): Mundtot und magersüchtig gemacht.

Mutter: Und Kind?

Pause. Vogerl schweigt.

Mutter: Geh heim, hilf ihm Anziehen. Schultaschepacken. Wiescherln. Hab schon ein Kind verloren. Ida. Sag was.

Vogerl schweigt.

Mutter: Ida. Was ist mit Kind.

Ida: Hast du mich lieb. Mutter.

Mutter: Geh zu Kind. Ida. Zu Sonnenschein. Ida.

Präparatoren kommen mit einem riesigen goldenen Käfig wieder und sperren Mutter in den Käfig. Vogerl steht starr da.

Mutter (schreiend):  Hilf mir, Ida.

Vogerl: (plötzlich weinend, hart) Ein jeder muss schaun, wo er bleibt. Nein?

Ein kurzer Atemmoment. Vogerl wischt sich die Tränen aus dem Gesicht und geht mit schnellen Schritten auf den Präparator zu, der sich mit einem Glitzertuch den Schweiß von der Stirne tupft. Es erwürgt Präparator von hinten. Dieser Moment soll genau gleich inszeniert sein wie die Tötung Vogerls durch die Mutter zu Beginn des Stückes. Vogerl zieht sich die Kleidung des Präparators an. Präparatoren kommen wieder.

Vogerl: Queen of the Biomacht.

Chor der Präparatoren mit Vogerl an der Spitze: Queen of the Biomacht.
Queen of the Biomacht.
Queen of the Biomacht.
Queen of the Biomacht.
Queen of the Biomacht.
Queen of the Biomacht.
Queen of the Biomacht.
Queen of the Biomacht.
Queen of the Biomacht.

Licht aus.


8. Guten Morgen, Sonnenschein

Kind sitzt alleine auf dem Sofa und will mit Kringel und Kuschel spielen, die jetzt zwei richtige Schauspieler sind. Kringel und Kuschels Arme sind lang und ineinander gebunden, so dass die beiden wie siamesische Zwillinge aussehen. Sie erinnern nun an eine Art symbiotisches Knödel, bewegen sich in einem Paarungstanz umeinander herum und verflechten sich mit ihren langen Armen immer wieder aufs Neue ineinander. Die beiden beginnen, mit eigenen Stimmen zu reden und schenken Kind keine Beachtung mehr.

Kuschel: Du.

Kringel: Ja.  

Kuschel: Ich kenne dich.  

Kringel: Du warst mal meine Nase.

Kuschel: Ich war der Buckel auf deiner Nase.

Kringel: (seufzt)

Kuschel: Was.

Kringel: Der Atem lässt sich nur seufzen

Kuschel: Du lügst.

Kringel: Vielleicht.

Kuschel: Sind wir ein Amöb, jetzt.

Kringel: Der perfekte siamesische Zwilling, der sich selbst alle Löcher schließt.

Kuschel: Es hat uns nie gegeben.

Kringel: Schön ist’s.

Kind (verzweifelt): Kringel. Kuschel. Habt ihr das Vogerl gesehn. (schaut unterm Bett, öffnet den Kasten, reißt die Kleider heraus. Blickt aus dem Fenster, öffnet das Fenster. Läuft in der Wohnung herum, das hellhäutige Gesichtchen zur heulenden Fratze verzerrt. Kringel und Kuschel sprechen weiterhin miteinander, ohne dass Kind sie spielt. Kind ist geschockt. Kringel und Kuschel ignorieren Kind. Kind geht in der Wohnung herum und sucht Vogerl.)

Kuschel: Ich kenn dich auch.  

Kringel: Du warst ein Speichelperlchen.

Kuschel: Vielleicht.

Kringel: Zwischen meinem Achselhaar.

Kuschel: Oder so.  

Kind (verzweifelt, zu Kringel und Kuschel, damit sie ihm zuhören): Wenn ich groß bin werd ich ein
Altersheim.
Wenn ich groß bin werd ich eine Seidenraupe.
Wenn ich groß bin werd ich ein Straßenrand.
Wenn ich groß bin werd ich ein Grau.
Wenn ich groß bin werd ich keine TV- Serie.
Wenn ich groß bin werd ich keine Playstation.
Wenn ich groß bin werd ich ein Sackerl.
Wenn ich groß bin werd ich ein großes Weinen.
Wenn ich groß bin werd ich kein Säugetier.
Wenn ich groß bin werd ich keine Mutter.

Kuschel: Hab mich mit dir in ein Wort gerollt.

Kringel: Hab meine Augen über dir zusammengeklappt.

Kuschel: Hab dir in der Fruchtblase an der Nabelschnur gefummelt.

Kringel: Hab von deinem Mutterkuchen gelutscht.

Kuschel seufzt.

Kringel: Was.

Kuschel: Mir spreizt was die Brust.

Kringel: Musst dich beruhigen.

Kuschel: Ich bin du jetzt. Atemmoment.

Kringel: Das Blau wieder einholn das einem die Backenknochen erdrückt.

Kuschel: Du (Kurze Pause.) Lichtgespinst an meiner Netzhaut.

Kringel: Aber ich wollt nie.

Kuschel: Nein.

Kringel: Ich hab dich nicht.

Kuschel: Auch ich nicht.

Kringel: Geht es dir auch.

Kuschel: Häng mich mit dir an eine Drachenschnur.

Kringel: Steck dich mir als welken Schnuller zwischen die Lippen.

Kuschel: Und kaust?

Kringel: Vielleicht.

Kind reißt Kringel die Kappe weg, Kringel merkt gar nichts. Stupst Kuschels Rücken an, Kuschel ignoriert Kind.

Kind: Hört zu hört mir zu. Wenn ich groß bin werd ich ein Kind.
Wenn ich groß bin werd ich kein Antidepressivum.
Wenn ich groß bin werd ich eine Traurigkeit.
Kein Singen und.
Kein Kinderlied.
Kein Sprudelbecken.
Kein Freund und keine Freundin.
Werd keine Macht werd keine Disziplin werd.
Wenn ich groß werd werd ich ein Weinen.
Werd ich eine Warthalle.
He hört zu hört zu jetzt.
Und hallo.
Werd ich ein Lallen. Eine Halde im nirgendwo.
Wenn ich groß bin werd ich eine verschimmelte Rinde werd.
Ein Ziehen im Bauch das nicht enden tut werd ich.
Hallo und hört.
Wenn ich groß bin werd ich eine Stille.
Werd ein Knacksen.
Werd eine große Pause.
Hört.  
He.
Hallo.

Kind sieht, dass Kuschel und Kringel es noch immer ignorieren. Während die beiden Puppen weitersprechen, kramt Kind unterm Bett eine Hacke hervor. Hackt sich die linke Hand ab. Findet auf dem Sessel das Nähzeug der Mutter. Stickt sich mit der rechten Hand Federn an die Unterarme. Erbricht sich. Stopft sich die Brüste aus mit zwei Unterhosen, die aus dem Kleiderschrank der Mutter gekullert sind. Zieht Strapse an, die es  aus einem Kleiderhaufen gekramt hat. Malt sich mit der Hand, die es noch hat, die Lippen rot.

Kuschel: Du.

Kringel: Ich wickel dir Ringelstrümpfe an deine knorrigen Finger.

Kuschel: Web mir ein Nest zwischen deinen Bartstoppeln.

Kringel: Krieg ich davon Herpes.

Kuschel: Vielleicht.

Kringel: Mal dir einen Gewitterwind an die Schläfen. Die schon meine sind.

Kuschel: Steck dich in eine Pudelmütze und rubbel dich ab nach mir. Heißt das: Nach mir.

Kringel: Du wirst rausfallen.

Kuschel: In dein linkes Nasenloch.

Kringel: Mich verhaspeln in mir.  

Kuschel: Natürlich. In mir.

Kringel: Atemmoment

Kuschel: Könnt ich dich aufessen.  

Kringel: Mich in kleinen Perlen aus deinem Arsch scheißen-

Kuschel: Dich dann aufklauben.  

Kringel: Würd ich kichern.  

Kuschel: Mach dir ein Loch in die Netzstrümpfe.

Kringel: Zieh dir die Wimpern dottergelb nach.  

Kuschel: Nein vorher zerstückel ich dich. Mein ich: Mich.

Kringel: Legst dich in meinen Organen schlafen.

Kuschel: Dös in meiner Leber.

Kringel: Am Darmrand. Der schon deiner ist dann.

Kuschel: Schlängel mich vor bis zum Scheidenpilz.

Kringel: Ohne was zu wollen.

Kuschel: Ohne jemals wieder irgendwas von dir.

Kringel: Und die Schilddrüse.

Kuschel: Kriegt eine Lippenstiftschablone.

Kringel: Drübergeschoben.

Kuschel: Paus deinen Schmollmund ab nach ihr.

Kringel: Und:  Blau

Kuschel: Nein: Türkis

Kringel: Natürlich.

Kuschel: Wie die Unterwäsche, die ich nicht tragen werd.

Kringel: Natürlich: nie. Weil du ich bist.

Kuschel: Und wie.

Kurze Pause.

Kuschel: Du.

Kringel: Ja.

Kuschel: Ich hab dich nie gekannt.

Kringel: In keinem Atemmoment.

Kuschel: An keiner Pore hab ich mich nach dir abgetastet

Kringel: Aber blau.

Kuschel: Hab die Wolken eingefangen und schmelzen lassen in deinen Augenhöhlen.

Kringel: Wir sind uns nie begegnet.

Kuschel: Mit keinem Regen .

Kringel: Keinem Zuckerguß.

Kuschel: Aber wir tragen dieselben Mützen.  

Kringel: Karierte.

Kuschel: Gekringelte.

Kringel: Ockern. Nein: Sandfarben.

Kuschel: Beiß ich dir in die Nippel, die du nie haben wirst.

Kringel: Natürlich nicht.

Kuschel: Streichel dich platt bis der Atem wieder aus dir rausflutscht.

Kringel: Solln sie uns in Zuckerwatte einlegen. Mich und mich.

Kuschel: Meinst: Weben.

Kringel: Nein.

Kuschel: Du hast kein Geschlecht.

Kringel: Nein.

Kuschel: Zwischen deinen Beinen baumelt kein Sack.

Kringel: Da ists ganz leicht und keimfrei.

Kuschel: Da leg ich mich. In dir in mir.

Kringel: Wachen

Kuschel: Nachtlang.

Kringel: Vielleicht.

Kuschel: Auch: Blau.

Kringel: Blau und türkis.  

Kuschel: Ich hör ein paar Sterne jodeln-

Kringel: Diese Säue.  

Kuschel: Sie sagen was.

Kringel: Was.

Kuschel: Säuglingssex.

Kringel: Wickeln wir uns ein in die Wolken.  

Kuschel: Es hat uns nicht gegeben.

Kringel: In keinem Moment.

Kuschel: Wir müssen uns nicht beruhigen.  

Kringel: Kein lasches Gaumenzäpfchen.

Kuschel: Kein Kehlkopfnockerl, das auf und abwippt bis man kotzen muss.

Kringel: Nein.

Kuschel: Du und ich wir waren nicht einmal.

Kringel: Ja.

Kuschel: Nein.

Kringel: Nicht ein einziges Mal.

Kuschel: Ja.

Kringel: Nein.

Kuschel: Nie.

Kringel: Ja.

Kind (in ein Vogerl verwandelt. Spricht sehr langsam und wie hinter einer Glasscheibe zu sich selbst): Und immer schon gestorben sein werd ich. Wenn ich groß bin.
Und darüber weinen. Wenn ich groß bin. Weißt. Ein Weinen werd ich wenn ich groß bin aber keine Müdigkeit.
Ein Zweifel werd ich wenn ich groß bin aber kein falsches Lachen.
Wenn ich groß bin werd ich kein Kofferradio keine Email kein W- Lan ich werd eine
Landschaft wenn ich groß bin. Werd ein Kornfeld. Eine Bierflasche am Boden. Eine Distel werd ich und ein Käfig mit offener Tür. Aber ohne Vogel drin. Keine Folgeerscheinung werde ich und kein Erfolg.
Keine Freude werd ich.
Aber ein Kummer. Der nicht mehr gestorben sein wird.
Kein Stein werd ich wenn ich groß werd. Aber ein Seufzen und ein Obdachloser am Straßenrand. Eine Kreide die sich verwischt als wär sie nie da gewesen. Ich werd eine Sommersprosse wenn ich groß bin werd Müllhalde Monsterfrau Morgenmuffel und Mustergöre. Irgendwann. Werd ich sie anspucken mit meinem Weinen wenn ich groß bin.

Kurze Pause.

Kind (flüstert nurmehr): Und klein werd ich wenn ich groß bin.
Klitzeklein wenn ich groß bin.

Pause.

Werd ich.

Pause.

Nicht?

Lange Pause. Mutter klopft am Fenster. Kind öffnet mit den Stümpfen seiner Hände das Fenster. Man sieht an Kinds Blick, dass es Mutter nicht erkennt. Mutter fällt ins Zimmer.

Mutter: Guten Morgen, Sonnenschein.

Licht aus.

 
Zurück zum Seiteninhalt | Zurück zum Hauptmenü